Dienstag, 4. Oktober 2016

Linguistische Nachlese zur EM

Die EM mit ihrem zweifelhaften neuen Modus ist fast vorbei - Zeit für ein etwas anderes Fazit, nämlich ein sprachwissenschaftliches. 24 Ländern haben bekanntlich dieses Mal teilgenommen. Im Verhältnis zu den 55 Mitgliedstaaten der UEFA sind das knapp 44 Prozent.

 

Doch darum soll es hier nicht gehen, sondern um das Verhältnis von fußballerischem Erfolg und Zugehörigkeit zu einer Sprachfamilie. Die EU hat ja alleine schon 20 Amtssprachen, wobei hier Minderheitensprachen wie das Samische in Finnland, das Sorbische in Deutschland oder das Katalanische in Spanien und Frankreich noch gar nicht berücksichtigt sind. Die meisten europäischen Sprachen gehören zur indogermanischen Sprachfamilie (Ausnahmen: Ungarisch, Finnisch, Estnisch und Baskisch), aber durch die Ausdehnung der UEFA bis nach Kasachstan und Israel kommen weitere interessante Sprachfamilien wie die Turksprachen oder die semitischen Sprachen hinzu.
Komplizieret wird die Sache dadurch, dass einige der Sprachen der an der EM teilnehmenden Länder in mehreren Ländern gesprochen werden (Deutsch in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Belgien; Englisch in England, Irland, Nordirland und Wales; Französisch in Frankreich, Belgien und der Schweiz), in manchen Ländern dafür mehrere von ihnen. Diese Länder konnten nicht eindeutig einer Sprachfamilie zugeordnet werden, deshalb habe ich zwei Mischgruppen eingeführt: eine romanisch-germanische und eine germanisch-keltische. In der Gruppenphase gab es somit folgende Verteilung:
  • Länder mit slawischen Amtssprachen 6 (Russland, Polen, Tschechien, Kroatien,
  • Länder mit germanischen Amtssprachen 5 (Deutschland, England, Österreich, Schweden, Island)
  • Länder mit romanischen Amtssprachen 5 (Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Rumänien)
  • Länder mit germanischen und keltischen Amtssprachen 3 (Irland, Schottland, Wales)
  • Länder mit germanischen und romanischen Sprachen 2 (Belgien, Schweiz)
  • Länder mit albanischer Amtssprache 1
  • Länder mit finno-ugrischer Amtssprache 1 (Ungarn)
  • Länder mit Turksprachen als Amtssprache 1 (Türkei)
Zur Erklärung: Das Albanische ist eine indogermanische Sprache ohne nähere Verwandtschaft; die Finno-ugrische Sprachfamilie wird bei der EM durch das Ungarische vertreten; zu den Turksprachen gehören neben dem sogenannten Türkeitürkischen z.B. das Usbekische, Kasachische oder Uigurische.
Interesant ist nun die weitere Entwicklung:
  • Im Achtelfinale waren nur noch drei slawische Sprachen vertreten (Polnisch, Slowakisch, Kroatisch) und im Viertelfinale nur noch eine (Polnisch = 17 %).
  • Von der Gruppe der germanischen Sprachen schafften es 3 oder 60 % ins Achtelfinale (Deutsch, Englisch und Isländisch) und 2 oder 40 % ins Viertelfinale.
  • Von den Ländern, in denen romanische Sprachen gesprochen werden, gelangte dagegen nur eines nicht ins Achtelfinale: Rumänien. Dort blieb dann mit Spanien ein weiteres auf der Strecke.
  • Von den - zugegebenermaßen - etwas künstlichen Gruppen der germanisch-keltischen und germanisch-romanischen Ländern überstanden alle die Gruppenphase. Ist Mehrsprachigkeit also förderlich für erfolgreichen Fußball? Im Viertelfinale kamen nur jeweils ein Sprachvertreter an: Wales für die germanisch-keltischen und Belgien für die germanisch-romanischen Sprachgruppen.
  • Von den weiteren Sprachfamilien gelang es nur Ungarn als Vertreter der Finno-ugrischen Sprachfamilie ins Achtelfinale vorzudringen. Die Gruppe der Turksprachen ist dort ebensowenig vertreten wie das Albanische.
Damit waren ab dem Viertelfinale die indogermanischen Sprachen unter sich.
Noch farbloser gestaltete sich sprachlich das Halbfinale: zwei romanischsprachigen Ländern (Portugiesisch und Französisch) standen ein germanischsprachiges (Deutsch) und ein germanisch-keltisch-sprachiges Land (Englisch und Walisisch) gegenüber.  Damit haben es 40 % der romanischsprachigen Länder ins Halbfinale und bekanntlich auch ins Finale geschafft (33 % der germanisch-keltischsprachigen, 20 % der germanischsprachigen).
So kann man sich noch den dümmsten Modus schöndenken: Noch interessanter wird's bei der WM mit 48 Teams...

Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Sprachen_der_Welt.png#/media/File:Sprachen_der_Welt.png, Urheber: Industrius, Lizenz: This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.

(Ähnliches schon vor zwei Jahren auf Twitter...)