Donnerstag, 7. Januar 2016

Knausgårds Titel

Die Bücher von Karl Ove Knausgård gehörten zu meinen wichtigsten Entdeckungen des zu Ende gehenden Jahres - und nicht nur zu meinen: in der ersten Ausgabe des neu belebten literarischen Quartetts wurde der zuletzt auf Deutsch erschienene fünfte Band durch Volker Weidermann, den Moderator der Sendung, in die Runde eingebracht. Dieser Band trägt in Deutschland den Titel 'Träumen' und folgt damit auf Sterben, Lieben, Spielen und Leben. (Der sechste Band ist noch nicht übersetzt.) 


Diese Art der Titelgebung wirkt auf mich in ihrer simplen Benennung grundlegender Zustandsverben zugleich kindisch wie nichtssagend, wobei sich letzterer Eindruck nach der Lektüre der Romane noch verstärkt. So geht es im ersten Band eben nicht um das Sterben des Vaters, sondern um dessen Tod und den Umgang des Erzählers mit diesem.
Im norwegischen Original trägt das sechsteilige Werk den Titel 'Min kamp' und die einzelnen Teile werden nur durchgezählt (Første bok, Andre bok...). Die genaue Übersetzung wäre also 'Mein Kampf'. Und obwohl Knausgård damit bis zum Erscheinen der wissenschaftlich kommentierten Ausgabe von Hitlers Hetzschrift im letzten Jahr eigentlich in jeder Online-Buchhandlung als erster Treffer hätte erscheinen müssen, erst recht im Bereich Belletristik, lehnte der deutsche Verleger es ab, Knausgårds Werk unter diesem Titel zu vertreiben (dazu ein interessanter Artikel im New Yorker).


Es ist ja nicht so, als könnte ich diese Entscheidung nicht nachvollziehen. Die Provokation, die auch im Norwegischen deutlich wird, ist im deutschsprachigen Raum deutlich größer und schwerer zu ertragen. Und eben deshalb hat sich mir die Frage gestellt: wie gehen die Übersetzer in anderen Sprachräumen mit dem Titel-Problem um? Gibt es eine einheitliche Tendenz in den germanisch- und den romanischsprachigen Ländern?
In den meisten Sprachen wird der Titel des Gesamtwerks zumindest im Untertitel mitgeführt. Dabei ist die Formulierung jeweils die gleiche, die auch für das Hitler-Buch verwendet wird: 'My Struggle' im Englischen, 'Mon Combat' im Französischen, 'Mi lucha' im Spanischen und im Italienischen 'La mia lotta'. Nur im Niederländischen scheint dies anders zu sein, da Knausgårds Werk als 'Mijn strijd' geführt wird, während das angespielte Buch 'Mijn kamp' heißt.
Bis auf die dem Norwegischen sehr nahverwandten skandinavischen Sprachen, die den Titel direkt übernehmen, sind aber in allen Übersetzungen eigene Titel für die einzelnen Bände vergeben worden: Im Englischen lauten sie 'A Death in the Family' oder 'A Man in Love'.


Im Niederländischen wurden ähnlich wie im Deutschen jeweils aus einem Wort bestehende Titel vergeben, hier aber Substantive statt (substantivierten) Verben: Vader, Liefde, Zoon, Nacht, Schrijver und Vrouw.


Im Französischen wird der Reihentitel 'Mon Combat' nicht mitgeführt; die ersten drei Bände tragen die Titel 'La Mort d'un père', 'Un homme amoureux' und 'Jeune homme'. Im Spanischen sind die Titel genau entsprechend, so dass sich mir die Frage stellt, ob sie womöglich aus dem Französischen statt aus dem Norwegischen übersetzt worden sind: 'La muerte del padre' und 'Un hombre enamorado'. Der dritte Band ist allerdings unter dem Titel 'La isla de la infancia' angekündigt.


Bleibt noch das Italienische: Hier gibt es zwei verschiedene Ausgaben. Im Verlag Ponte alle Grazie wird nur der Reihentitel verwendet. In der neueren Feltrinelli-Ausgabe begegnen hingegen die zum Teil aus dem Englischen, Französischen und Spanischen bekannten Titel 'La morte del padre', 'Un uomo innamorato' und 'L'isola dell'infanzia'.


Zusammenfassend lässt sich sagen: es gibt drei Tendenzen. In der skandinavischen werden die Bände unter dem Reihentitel 'mein Kampf' durchgezählt, in der romanischen trägt jeder Band einen sprechenden Titel und in der deutsch-niederländischen sind diese Titel auf ein Wort beschränkt.
Meiner persönlichen Meinung nach ist die deutsche Version dabei die dämlichere, was v.a. in der Benennung des ersten Bandes (Nld. 'Vater' vs. Dt. 'Sterben') und des dritten Bandes (Nld. 'Sohn' vs. 'Spielen') deutlich wird. Vermutlich hat man sich Marketing-technisch an den Titeln skandinavischer Krimi-Bestseller-Autoren wie Jussi Adler-Olsen orientiert.